Von 2003 bis 2006 arbeitete ich bei einem Düsseldorfer Ingenieurbüro, dessen Räumlichkeiten auf dem alten Werksgelände der Böhler Stahlwerke an der Stadtgrenze zu Meerbusch untergebracht waren. Der industrielle Charme der Location wurde durch die unmittelbare Nähe zum alten Kesselhaus unterstrichen.
Erst Jahre später fiel mir auf, dass ich trotz meiner Vorliebe für Messer – Klappmesser im Besonderen – kein einziges Messer mit einer Klinge aus Böhler-Stahl besaß. Ich begann, auf eBay nach Messern mit einer solchen Klinge zu suchen. Seit der Fusionierung von Böhler mit dem schwedischen Stahlwarenhersteller Uddeholm ist der Großteil der Produktion an andere Standorte verlegt worden. Daher suchte ich insbesondere nach alten Messern, um sicherzustellen, dass die Fertigung auch in Meerbusch stattgefunden hatte.
Was ich fand, war kein Taschenmesser, sondern ein Rasiermesser, auf dessen Erl die Bezeichnung „Böhler ◊ Extra“ eingraviert war. Ich fand schnell heraus, dass der Stern zwischen den beiden Wörtern eines der frühesten registrierten Markenzeichen darstellte. Er war im Jahre 1894 durch die Böhler Edelstahl GmbH registriert worden. Was ich jedoch trotz ausgiebiger Internet-Recherche nicht herausfand, waren nähere Infos zum Hersteller oder zur Marke „Kain + Abel“. (Ich war automatisch davon ausgegangen, dass es sich bei Kain + Abel um einen Hersteller-Namen handeln musste, da auf dem Zelluloid-Griff die Bezeichnung „Kain + Abel Special“ zu lesen war.) Den Fertigungszeitraum konnte ich mithilfe von Angaben der Firma Böhler und aufgrund der Benutzung von Zelluloid als Werkstoff für die Griffschalen grob auf die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts datieren. Doch obwohl ich auf Anhieb Informationen über rund 20 unterschiedliche Rasiermesser von Kain + Abel in Online-Auktionshäusern und Foren fand, schien es keinerlei Informationen über den Hersteller zu geben. Im Gegenteil: Ich fand heraus, dass viele Besitzer eines Kain + Abel Messers dieselben Fragen hatten wie ich. Doch aus den Kommentaren wurde schnell deutlich, dass niemand eine Antwort wusste. Auch die einschlägige Literatur war von keiner Hilfe. Selbst das erschöpfend umfangreiche Referenzwerk „German Knife and Sword Makers – The definitive directory of makers and marks, from 1850 to 1945“ von J. Anthony Carter und John Walter verlor kein Wort über Kain + Abel.
Als mir John Walter schließlich bestätigte, dass in seinen Unterlagen keinerlei Nennung zu diesem Unternehmen zu finden war, fasste ich den Entschluss, erstmals nähere Infos zu Kain + Abel zu finden und den übrigen Besitzern solcher Rasiermesser zur Verfügung zu stellen.
Doch wie sich bald zeigte, sollte dies ein schwieriges Unterfangen werden.
Kain, wo ist dein Bruder Abel?
Trotz der Tatsache, dass ich nur rund 10 km entfernt vom Solinger Stadtarchiv wohne, waren meine ersten Recherchen ernüchternd. Weder in der umfangreichen Briefkopfsammlung, noch in den alten Solinger Adressbüchern war das Unternehmen Kain + Abel zu finden. Und auch eine Suche in den Sammlungen der Firmenfotos und amtlichen Dokumente blieb erfolglos.
Erst ein Buch namens „Das deutsche Markenartikel und Wortmarken Adressbuch“ lieferte die alles entscheidende Information. Der erste Band dieses Nachschlagewerks von 1937 umfasst alle Unternehmen der Eisen- und Metallverarbeitung und gliedert sich nochmals in zwei Teile. Teil 1 nennt chronologisch die Unternehmen und ordnet diese ihren jeweiligen Markennamen zu. Teil 2 listet alphabetisch alle Markennamen auf und verknüpft diese mit den jeweiligen Firmen.
In Teil 1 wurde ich auch hier nicht fündig. Dafür listet das Buch den Namen „Kain-Abel“ jedoch als Marke in Teil 2 auf. Und hier wird diese Marke mit dem Unternehmen Emil Broch in Solingen-Merscheid verknüpft. Doch dies war nur die erste wichtige Information, die das Buch mir lieferte. Denn unter dem Herstellernamen „Emil Broch Rasiermesserfabrik“ wurden in Teil 1 neben der Marke Kain-Abel noch zwei weitere Markennamen genannt: Elsine und Bromeso.
Mit diesen entscheidenden Informationen konnte meine Recherche nun nochmals von vorne beginnen. Doch wie sich herausstellte, gab es auch über Emil Broch in den vorhandenen Quellen keinerlei Anhaltspunkte. So mussten alle auf dieser Seite gesammelten Informationen in Kleinarbeit und mit der Hilfe unterschiedlicher Personen zusammengetragen werden.
Danksagung
Daher möchte ich an dieser Stelle einigen Menschen für ihre tatkräftige Hilfe bei meiner Suche danken:
- Ernst Detlef Broch, der die unterschiedlichen Äste des Broch’schen Stammbaums bis ins 17. Jahrhundert zurückverfolgt und mir wichtige Informationen zu Emil und Willy Broch zugänglich gemacht hat,
- Tim und Hans Ehlenbeck,
- Friedrich Lauterbach vom Technischen Service der Firma Böhler in Meerbusch,
- Lutz Hoffmeister vom Solinger Klingenmuseum,
- Michael Tettinger (tetti.de) und Marina Mutz (zeitspurensuche.de), für ihre sehr informativen Webseiten und freundlichen Wissensaustausch,
- John Walter, Co-Autor von „German Knife and Sword Makers“,
- Ulrich Herting vom Fachbereich Vermessung der Stadtverwaltung Solingen, für die Nutzungsrechte an den alten Karten und Luftbildern,
- Frauke Gränitz von der Leipziger Messe,
- Ute Wnendt von der Kölnmesse,
- den Mitarbeitern des Solinger Stadtarchivs,
- und meiner Frau Nicole, für alles andere.
Nachtrag
Erst über zwei Jahre später tauchte plötzlich ein Kain+Abel Special Rasiermesser in einer Auktion auf, dessen Erl-Vorderseite die Gravur “Emil Broch / Solingen-Merscheid” zierte. Wäre dieses Exemplar früher aufgetaucht, wäre der Ursprung der Kain-Abel Rasiermesser womöglich bereits vor Jahren geklärt worden. Tatsache ist jedenfalls, dass dies das bislang einzige Exemplar ist, das einen direkten Bezug zwischen der Marke und seinem Schöpfer herstellt.